Bachmannpreis 2022: Ana Marwan - Die Wechselkröte

In Ana Marwans zartem Text folgt der Leser/die Leserin den Gedanken einer Frau, die zurückgezogen auf dem Land lebt und erfährt, dass sie schwanger ist. Zu ihrer Schwester sagt die junge Frau dazu: Eine Eisenkugel an einer Kette um meinen Fuß, doch die Schwester entgegnet: Ein Eisennagel, mit dem du dich wieder der Welt anheften kannst.

Im weiteren Verlauf der Erzählung lässt uns die Autorin eintauchen in die Gefühlswelt der werdenden Mutter, die erfahren hat, dass ihre Schwangerschaft für eine Abtreibung bereits zu weit fortgeschritten ist. Wie viel wird ihr das Kind abverlangen, wie vertraut oder wie fremd wird ihr das Kind sein?

Auszüge aus dem Text:

Ich stelle mir vor...
Es lacht, wenn man es am Bauch kitzelt …
Ich stelle mir vor, seine Augen sind blau. Reines Blau, das mich stört … Im Blau seiner Augen finde ich nichts Heimisches …
Ich stelle mir vor, es ist vier … Und es ist schüchtern, es nimmt meinen Rock wie einen Vorhang und taucht sein Gesicht hinein …
Ich stelle mir vor, ich bringe ihm eine ausgedachte Sprache bei, die uns verbindet und alle anderen ausschließt …
Es ist acht. Es ist nicht aus meiner Erde. Nichts Heimisches in seiner Stimme. Es redet wie die Nachbarn …
Ich stelle mir vor, ich habe vergessen, dass ich mich schon kurz vor ihm aufgegeben habe …
Ich stelle mir vor, es ist sechzehn und es sieht nur sich und die Welt und seine Zukunft in der Welt, …
Ich stelle mir vor, es ist vierzig und besucht mich aus Pflichtgefühl, …
Es ist sechzig und redet mit mir wie mit einem Kind, …

Im verwahrlosten Pool im Garten entdeckt die junge Frau schließlich eine Kröte. Auf Anraten eines Mitarbeiters der Landesregierung bringt sie die Wechselkröte in die Donauauen und lässt sie frei. Kurz darauf lässt man sie wissen, dass der Laich im Pool nicht geschützt werden muss. Der Poolmann kann ihn absaugen.

> zum Text: Die Wechselkröte (PDF)
> zum Vorstellungsvideo Ana Marwan und zur Lesung der Autorin